9. August 2000

TIBET INFORMATION NETWORK

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Sonam Dekyi besucht ihren Sohn im chinesischen Gefängnis

Ngawang Choephels Mutter durfte ihren Sohn letzte Woche zum ersten Mal sehen, seit er vor fünf Jahren wegen "Spionage" zu 18 Jahren Gefängnis verurteilt wurde. 1995 war er nach Tibet gereist, um Videoaufnahmen von Volksmusik und traditionellen Tänzen zu machen. Sonam Dekyi und ihr Bruder Tsering Wangdu trafen den 32 Jahre alten Ngawang Choephel, einen ehemaligen Fulbright Stipendiaten, letzte Woche zweimal für eine Stunde unter strenger Überwachung in Chengdu, der Provinzhauptstadt Sichuans. Sie waren durch ein Eisengitter von ihm getrennt und durften ihn nicht berühren. Die Unterhaltung wurde auch durch die Anwesenheit von Sicherheitspersonal eingeschränkt. Mutter und Sohn wurde gedroht, der Besuch müßte vorzeitig abgebrochen werden, falls sie nicht zu weinen aufhörten.

Ngawang Choephel wurde vor etwa einem Monat aus dem Gefängnis No. 2 der Autonomen Region Tibet (TAR), das auch als Powo Tramo bekannt ist, in das Gefängnis von Chengdu verlegt, wo die Begegnung mit seiner Mutter stattfand. Sonam Dekyi und Tsering Wangdu wurde erklärt, der Grund seiner Verlegung nach Chengdu sei der gewesen, daß er medizinische Behandlung benötigt hätte. Ngawang Choephel war in Powo Tramo in Hungerstreik getreten, nachdem ihm dort keine ärztliche Versorgung oder Kontrolluntersuchung zuteil wurde. Die medizinischen Einrichtungen in Chengdu sind besser als in dem 650 km östlich von Lhasa gelegenen Powo Tramo in Kreis Pome der Präfektur Kongpo. Ngawang Choephels Verlegung aus der TAR in ein Gefängnis in China könnte auch auf seine politische Bedeutung für die chinesische Regierung hinweisen, sowie deren Absicht, ihn von anderen tibetischen politischen Gefangenen isoliert zu halten und die höchstmöglichen Sicherheitsmaßnahmen für den Besuch seiner Mutter und seines Onkels zu gewährleisten. Nicht bekannt ist, ob seine Verlegung nach Chengdu von Dauer ist.

Ngawang Choephel sah körperlich sehr angegriffen aus und schien auch psychisch nicht sehr stark zu sein, wie seine Mutter und sein Onkel sagten, die am 8. August auf ihrem Rückflug nach Indien in Kathmandu eintrafen. "Er war nichts als Haut und Knochen", meinte sein Onkel Tsering Wangdu TIN gegenüber. "Er sagte, er sei krank gewesen und vor unserem Besuch in dem Krankenhaus von Chengdu behandelt worden". Ein Arzt hätte ihm erklärt, daß er an Magen, Lungen und Leber erkrankt sei, wozu vielleicht noch eine Infektion des Harntrakts käme. Frühere Berichte deuteten darauf hin, daß er an TBC leiden könnte.

Sonam Dekyi war es wegen der ständigen Überwachung bei dem Besuch nicht möglich, offen mit ihrem Sohn über etwaige Mißhandlungen im Gefängnis zu sprechen. Ein Gefängniskader meinte aber Sonam Dekyi gegenüber, Ngawang Choephel sei ein "schwieriger" Gefangener gewesen, der "seine Verbrechen" nicht vollständig gestanden habe. Diese Aussage weicht von früheren offiziellen Berichten über Ngawang Choephels Inhaftierung ab. Im Februar 1997 hieß es in einem Bericht der offiziellen chinesischen Nachrichtenagentur Xinhua, in dem Ngawang Choephels 18 Jahre Hafturteil bestätigt wurde, daß er sich zu seinen Vergehen bekannt habe. Eine Sendung von Radio Tibet vom 26. Dezember 1996 erklärte, daß Ngawang Choephel alle seine Aktivitäten eingestanden habe "einschließlich der Spionage", um "die so gesammelten Informationen der Regierung der Dalai Clique im Exil und einer Organisation in einem gewissen fremden Land zu liefern" (womit die USA gemeint sind, wo Ngawang Choephel an dem Middlebury College in Vermont studierte). Die Gefängnisbehörden verlangen routinemäßig unter der Androhung von Strafen, daß die Gefangenen immer wieder ihre Geständnisse wiederholen und ihre "Verbrechen akzeptieren", was für politische Gefangene eine besonders schwierige Angelegenheit sein kann. Schläge werden allgemein verabreicht, um bei den Vernehmungen Geständnisse zu erzielen, sowie als Strafe während der Haftzeit, wobei das Prinzip der "Milde für die Geständigen und der Strenge für die Widerspenstigen" den Gefangenen ständig eingebleut wird. Es scheint, daß Ngawang Choephel in dem Nyari Haftzentrum in Shigatse, wo er 1995 anfänglich inhaftiert war, mißhandelt wurde, daß sich die Verhältnisse für ihn in Powo Tramo jedoch gebessert haben.

Die Chinesen stellten sicher, daß sich Sonam Dekyi und ihr Bruder bei ihrem Aufenthalt in Chengdu an die vorgeschriebenen Bestimmungen für Gefängnisbesuche hielten, was Ausschluß von physischem Kontakt, strenge Überwachung und zeitliche Begrenzung auf eine Stunde bedeutete. Ein normaler Gefängnisbesuch für politische Gefangene in der TAR ist jetzt jedoch eher eine Ausnahme als die Regel. Die Familien von politischen Gefangenen erhielten, wie verlautet, auf die Unabhängigkeitsproteste im Drapchi Gefängnis vom Mai 1998 hin annähernd ein Jahr lang keine Erlaubnis, ihre Verwandten zu sehen, und zuverlässige Berichte aus Tibet lassen darauf schließen, daß Familienbesuche für politische Gefangene in Drapchi gewöhnlich nicht länger als zehn Minuten dauern.

Während ihres Besuches durften Sonam Dekyi und Tsering Wangdu sich nicht auf Hindi mit Ngawang Choephel unterhalten, sie konnten nur auf Tibetisch mit ihm reden, damit das Gefängnispersonal ihr Gespräch überwachen konnte. Die Besucher gewannen den Eindruck, daß er sich sehr isoliert fühlt, denn in dem Gefängnis von Chengdu gibt es wahrscheinlich nur wenige tibetische Gefangene, und Ngawang Choephel kann kein Chinesisch. Ngawang Choephel und seine Mutter wurden beim ersten Besuch gewarnt, daß der Besuch vorzeitig beendet werden müßte, wenn sie nicht zu weinen aufhörten.

Visum für Sonam Dekyi auf internationale Kampagne hin gewährt

Die chinesische Botschaft in New Delhi stellte Sonam Dekyi auf eine internationale Kampagne im großen Stil hin, die von Unterstützungsgruppen weltweit und US Politikern, vor allem von Senator James Jeffords durchgeführt wurde, ein Visum auf 7 Tage für China und Tibet aus. Dieser war wegen Ngawang Choephels Inhaftierung dagegen, den normalen Handelsbeziehungen zwischen den USA und China dieses Jahr einen dauernden Status zu verleihen (was als die "Permanent Normal Trade Relations" bekannt ist).

Sonam Dekyi und Tsering Wangdu war ursprünglich mitgeteilt worden, daß sie sich 7 Tage in Lhasa aufhalten würden. Erst bei ihrer Ankunft in der Hauptstadt der TAR erfuhren sie, daß der Besuch statt dessen in Chengdu stattfinden würde. Sie flogen direkt, ohne den Flugplatz zu verlassen, von Lhasa nach Chengdu. Ihr Abflug nach Lhasa wurde um mehrere Tage verzögert, denn sie wurden bei ihrer Einreise nach Kathmandu von der nepalesischen Einwanderungsbehörde aufgehalten, weil sie nicht die richtigen Papiere besaßen.

Die Chinesen gaben erst im Mai 1999 auf Anfragen von westlichen Regierungen Auskunft über Ngawang Choephels Aufenthaltsort. Ngawang, ein früherer Fulbright Stipendiat in den USA, war im Juli 1995 nach Tibet gereist, um einen Dokumentarfilm über traditionelle tibetische darstellende Künste zu drehen. Er wurde zuerst im Sommer 1995 in dem Nyari Haftzentrum, Präfektur Shigatse (häufig einfach als das "Shigatse Gefängnis" bezeichnet) festgehalten, ehe er kurz nach Drapchi und dann nach Powo Tramo verlegt wurde. Ein ehemaliger Gefangener in dem Nyari Haftzentrum berichtete TIN 1998, daß Ngawang Choephel während seiner Inhaftierung in Nyari "ausgezehrt und schwach schien, weil es nicht viel zu essen gab". Der ehemalige Insasse sagte auch, Ngawang Choephel sei in Nyari nicht zur Arbeit gezwungen worden und den ganzen Tag in seiner Zelle geblieben.

Ngawang Choephel soll seine Mutter bei dem kürzlichen Besuch ermahnt haben, sich keine Sorgen um ihn zu machen und ihre religiöse Praxis fortzusetzen. "Das Gespräch mit ihm schien nicht sehr normal", sagte sein Onkel Tsering Wangdu, "es war, als ob ihm vorher eingeschärft worden wäre, was er zu sagen habe."

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